Somatische Marker

Die enge Verbindung zwischen Körper und Psyche ist durch Forschungsergebnisse belegt. Ein Beispiel sind Forschungen des Neurologen Antonio Damasio. Damasio hat mit seinen Forschungen belegt, dass Vernunft und Körper keinen getrennten Systeme sind, sondern eng zusammenhängen. Er weist nach, dass sogenannte „rationale Entscheidungen“ auf Körperwahrnehmungen beruhen. Er nennt diese den Entscheidungen zugrundeliegenden Körperempfindungen „somatische Marker“.

Phineas Gage

Damasio begann sich durch den historisch überlieferten Fall von Phineas Gage für Entscheidungsprozesse zu interessieren. Gage war Vorarbeiter bei einer Eisenbahngesellschaft und hatte bei einer Sprengung beim Schienenbau einen schweren Unfall: Ihm wurde eine schwere Eisenstange durch den Kopf geschossen. Das besondere: Er wirkte hinterher unversehrt. Er war bei Bewusstsein, seine Wahrnehmung, das Gedächtnis, Intelligenz, Sprache, Motorik waren intakt. Erst mit der Zeit stellte sich heraus, dass seine Persönlichkeit sich total verändert hatte. Vorher war er allerseits beliebt und geachtet, war verantwortungsbewusst, besonnen, ausgeglichen, freundlich. Hinterher war er ungeduldig, launisch, wankelmütig, respektlos. Er konnte keine Arbeitsstelle mehr halten und es folgte ein sozialer Abstieg. Er konnte keine für sich selbst günstigen Entscheidung mehr fällen und nicht langfristig zielorientiert handeln.

Der präfrontale Cortex

Es stellte sich heraus, dass bei Gage der präfrontale Cortex zerstört wurde. Damasio fand heraus, dass auch andere Patienten mit Schädigungen diesen Gehirnbereiches die gleichen persönlichen und sozialen Schwierigkeiten haben.

Bei der Forschung stellte sich folgende Funktion des präfrontalen Cortexes heraus: Er organisiert Erfahrungswissen, hat die Aufmerksamkeitskontrolle und plant Handlungen: Er ist jederzeit über die Empfindungen/ Körperwahrnehmungen und durch das limbische System über die momentan aktuellen Gefühle informiert. Der präfrontale Cortex kombiniert Erlebnisse mit den dazugehörigen Körpergefühlen und kann so diesen Erlebnissen eine Wertung wie z.B. lustvoll/ schmerzhaft/ gefährlich/ ungefährlich geben. Er kann die aktuellen Wahrnehmungen und Gefühle mit vorangegangen Situationen abgleichen und entscheiden, was wichtig ist und der Aufmerksamkeit bedarf und wann Handeln angesagt ist. z.B.: „Als meine Mutter das letzte Mal so komisch geguckt hat, war sie danach mehrere Wochen sauer auf mich, davor habe ich Angst, also besser überlegen, wie ich das abwenden kann… „

Es konnte auch nachgewiesen werden, dass die selben sozialen Schwierigkeiten und Probleme sinnvolle Entscheidungen zu treffen auftreten, wenn „nur“ somatosensible Rindenfelder (der Teil vom Gehirn, der Körperzustände wahrnimmt) zerstört wurden.

Die Hypothese der somatischen Marker – der Intuition auf der Spur

Damasio folgert daraus, dass gute persönliche und soziale Entscheidungen aufgrund von Körpersignalen (bewusst oder unbewusst) gefällt werden. Das „rationale Gehirn“ (der Neocortex) sitzt nicht einfach auf den alten für u.a. Reflexe und Gefühle zuständigen Gehirnteilen, sondern ist eng mit ihnen vernetzt und nutzt ihre Informationen. Gefühle markieren Wichtigkeit. Aufmerksamkeit bekommen nur persönlich wichtige Reize. Wichtig für das Zurechtkommen in sozialen Zusammenhängen ist z.B. Angst ein Warnsignal. „Wenn ich nicht rechtzeitig aufstehe und zu spät komme, bekomme ich Ärger, schäme mich und verliere langfristig gesehen vielleicht sogar meinen Job.“

Ausblick auf die Praxis: Die somatischen Marker als Berater bei inneren Konflikten

Bei Entscheidungsprozessen ist es häufig so, dass innere Konflikte eine Entscheidung schwer machen. z.B. Soll ich kündigen und eine neue Arbeit annehmen? Hier kann manchmal keine Kosten-Nutzenanalyse helfen. Hier wird oft berichtet: „Ich bin froh, dass ich meinem Bauchgefühl gefolgt bin.“ Häufig muss man verschieden Körpergefühle miteinander abgleichen: Der Ärger über den Chef, die Angst vor der ungewissen neuen Situation, der Ehemann macht Druck, nicht immer zu jammern ohne zu Handeln, der Vorteil, nah an den Kindern zu sein… Das Durchleben all dieser im Körper verankerten Empfindungen verhilft häufig plötzlich zu dem Aha-Erlebnis: So mache ich es und das ist richtig so. So können somatische Marker bei der Entscheidungsfindung helfen. Genutzt wird dieser Effekt bewusst z.B. beim Focusing, einer therapeutischen Gesprächstherapiemethode nach Gendlin.

Literatur

Antonio R. Damasio: “Descartes Irrtum – Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn”, Deutscher Taschenbuchverlag 1997

 

 


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